Keine illegale Droge wird in Deutschland mehr konsumiert als Cannabis. “Gras” gilt als verhältnismäßig harmlos. Wie gefährlich exzessives Kiffen für die Psyche aber sein kann, zeigen Forschende jetzt am Beispiel Schizophrenie.
Schizophrenie gilt als eine der schwersten psychischen Erkrankungen. Einer von 100 erkrankt weltweit im Laufe seines Lebens mindestens einmal. Am gefährdetsten sind Laut Robert Koch-Institut (RKI) Menschen zwischen dem 18. und dem 35. Lebensjahr. Der Konsum von Cannabis könnte hierbei eine weitaus größere Rolle spielen als bisher vermutet. Wie ein Forscherteam jetzt herausgefunden hat, dürften bis zu 30 Prozent aller Schizophrenie-Fälle bei jungen Männern auf problematischen Cannabis-Konsum zurückgehen.
Die Forschenden hatten sich in einem riesigen Datensatz aus Dänemark angeschaut, wie sogenannte Cannabiskonsumstörungen (englisch: cannabis use disorder; CUD) und Schizophrenie zusammenhängen. Kriterien für eine CUD sind unter anderem hoher Konsum, starkes Verlangen nach der Droge oder die Aufgabe oder Einschränkung wichtiger sozialer, beruflicher oder Freizeit-Aktivitäten. Die Ergebnisse wurden jetzt im Fachblatt “Psychological Medicine” veröffentlicht.
Cannabiskonsum: Risikofaktor für Schizophrenie
Bisherige Studien hatten bereits gezeigt, dass Cannabiskonsumstörungen mit schweren psychischen Erkrankungen einhergehen können, beispielsweise mit einer Schizophrenie – das gilt für Männer genauso wie für Frauen. Nun haben Forscher um Carsten Hjorthøj von der Uniklinik Kopenhagen untersucht, für wen das Risiko am höchsten ist. Die Analyse zeigt, dass 15 Prozent aller Schizophrenien bei Männern in Dänemark im Jahr 2021 ohne Cannabiskonsumstörungen (CUS) hätten vermieden werden können. Bei den Frauen waren es vier Prozent. Besonders hoch war der Anteil mit bis zu 30 Prozent bei den jüngeren Männern im Alter von 21 bis 30 Jahren.
CUS seien demnach ein wichtiger Risikofaktor für die Krankheit Schizophrenie, schlussfolgern die Forscher. Sie hatten Daten von mehr als 6,9 Millionen Männern und Frauen aus dänischen Gesundheitsregistern gesammelt. Bei rund 45.300 dieser Menschen war eine Schizophrenie diagnostiziert worden. Anschließend prüften die Wissenschaftler, bei welchen Personen in den verschiedenen Geschlechts- und Altersgruppen außerdem Cannabiskonsumstörungen bekannt waren und schätzten dann den Anteil aller Schizophreniefälle, bei denen es einen Zusammenhang zu einer solchen Störung gibt.
Die Forscher weisen zudem darauf hin, dass die Anzahl der Menschen mit einer Cannabiskonsumstörung mit den Jahren generell gestiegen sei und auch der THC-Gehalt in Cannabisprodukten immer höher werde. In Dänemark seien im Jahr 2006 noch im Schnitt 13 Prozent gemessen worden, im Jahr 2016 habe der THC-Gehalt bei 30 Prozent gelegen.
Höherer THC-Gehalt, mehr Psychose-Erkrankungen?
Ihre repräsentative, landesweite Studie erweitert das Ergebnis einer Fallkontrollstudie aus dem Jahr 2019 von Marta Di Forti und ihrem Team. Damals ist festgestellt worden, dass in den Städten, in denen Cannabisprodukte mit einem besonders hohen THC-Gehalt regelmäßig konsumiert werden, auch die Anzahl der Psychoseerkrankungen besonders hoch ist. Untersucht worden waren damals elf europäische Städte, die Spitzenplätze belegten Amsterdam und London. Folglich könnte auch die Stärke des konsumierten Cannabis relevant für das Schizophrenie-Risiko sein, meinen die Forscher.
Der Ärztliche Leiter des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) in Hamburg, Rainer Thomasius, verweist auf einen weiteren Aspekt der Studie: “Wirklich erschreckend ist, dass laut der Analyse der Anteil der Neuerkrankungen an Schizophrenie, die auf eine Cannabiskonsumstörung zurückgeführt werden können, in den letzten fünf Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen ist.”
Für die Betroffenen beginnt damit in vielen Fällen ein langer Leidensweg: “Die Schizophrenie gehört zu schwersten psychiatrischen Erkrankungen, weil sie mit einer stark verminderten Lebensqualität, einer hohen Behandlungsbedürftigkeit, Unselbständigkeit und einer starken Einschränkung gesellschaftlicher Teilhabe verbunden ist”, erklärt Thomasius. Viele erkranken bereits früh an Schizophrenie, dazu kommen Rückfälle bei fast drei Viertel der Betroffenen, schreibt das RKI auf seiner Website. Oftmals sei die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, die Sterblichkeit ist erhöht. Menschen, die an Schizophrenie erkrankt sind, können oftmals keinen oder nur eingeschränkt einem Job nachgehen.
Cannabis-Legalisierung geplant
Die Studie aus Dänemark lasse sich laut Thomasius auch auf Deutschland übertragen. Hierzulande ist Cannabis die Droge, die am häufigsten konsumiert wird. Folgt man den Angaben Der Gesundheitsplattform gesund.bund waren das 2021 rund 4,5 Millionen Menschen zwischen 18 und 64 Jahren, 2,8 Millionen davon waren Männer, 1,7 Millionen Frauen. Bisher ist der Konsum noch illegal, aber die deutsche Bundesregierung plant die Legalisierung von Cannabis. Thomasius und andere Experten vermuten, dass der Konsum damit insgesamt steigen wird.
“Durch diese Zunahme werden mehr Menschen an einer Cannabiskonsumstörung erkranken und die Anzahl der Schizophreniepatienten wird zunehmen. Es wird auch die Erkrankungshäufigkeit für cannabisinduzierte depressiven Störungen und Angststörungen ansteigen”, prognostiziert Kinder- und Jugendpsychiater Thomasius. Schon jetzt, das zeigt ein Blick in die Deutsche Suchthilfestatistik, sind “psychische- und Verhaltens-Störungen durch Cannabis von allen illegalen Substanzen die am häufigsten genannten”.
Studien-Mitautorin Nora Volkow mahnt in einer Pressemitteilung: “Da der Zugang zu potenten Cannabisprodukten weiter zunimmt, ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir auch die Prävention, das Screening und die Behandlung für Menschen ausbauen, die psychische Erkrankungen im Zusammenhang mit dem Cannabiskonsum erleiden könnten.” Erstautor Hjorthøj sieht noch ein grundsätzliches Problem: “Die zunehmende Legalisierung von Cannabis in den letzten Jahrzehnten hat dazu geführt, dass es zu einer der am häufigsten konsumierten psychoaktiven Substanzen der Welt geworden ist, während gleichzeitig die öffentliche Wahrnehmung der Schädlichkeit von Cannabis abgenommen hat.”
Quelle: DPA, RKI 1, gesund.bund, Deutsche Suchthilfstatistik, Bundesgesundheitsministerium
Quelle: Stern