Immer mehr Fälle von Affenpocken werden seit Anfang Mai gemeldet. Eine Auffälligkeit: Unter den bisher bekannten Fällen sind überproportional viele Männer, die Sex mit Männern haben. Das könnte ein bloßer Zufall sein.
Nach dem ersten Fall von Affenpocken Anfang Mai in Großbritannien, wurden immer mehr Fälle der Virusinfektion rund um den Globus nachgewiesen. Unter den bisher bekannten Fällen sind überproportional viele Männer, die Sex mit Männern haben. Warum diese Gruppe besonders häufig betroffen ist, dafür gibt es noch keine Erklärung. Es könnte auch ein bloßer Zufall sein.
Was feststeht: Das Virus wird von Mensch zu Mensch durch engen Körperkontakt übertragen. Expert:innen bewerten den Ausbruch außerhalb von Afrika als ungewöhnlich, da Infektionsketten zwischen Menschen ungewöhnlich seien. Außerdem ist auffällig, dass die meisten Betroffenen nicht nach West- oder Zentralafrika gereist sind, wo es in der Vergangenheit schon zu kleineren Ausbrüchen von Affenpocken gekommen ist.
Infektion mit Affenpocken über engen Körperkontakt
Die sexuelle Orientierung ist dem Affenpockenvirus egal – jede Person, die engen Körperkontakt zu einer anderen Person hat, die symptomatisch erkrankt ist, kann sich mit dem Virus infizieren. Zum Beispiel über größere Tröpfchen, Körperflüssigkeiten oder die Krusten des Ausschlags. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) sind alle Geschlechter und Altersgruppen gleichermaßen für das Virus empfänglich.
Trotzdem hatte das RKI nach dem Bekanntwerden der ersten Fälle, Männer, die Sex mit Männern haben, zur besonderen Vorsicht aufgerufen. Sie sollten bei Hautveränderungen unbedingt einen Arzt oder eine Ärztin aufsuchen. Diese Aufforderung bedeutet allerdings nicht, dass sich nur Männner, die gleichgeschlechtlichen Sex haben, anstecken können. Es ist eine reine Vorsichtsmaßnahme – die allerdings Frauen und Männer gleichermaßen beachten sollten, unabhängig von ihren sexuellen Vorlieben.
Problematisch: Bei dem aktuellen Ausbruch sind die detaillierten Infektionsketten noch weitgehend unklar, sagt Virologe Stephan Becker von der Uni Marburg zur “Deutschen Presse-Agentur”. Das Virus scheine sich derzeit vor allem zwischen homo- oder bisexuellen Männern auszubreiten, sagt Becker. Intimkontakt ist aber nur eine Möglichkeit der Übertragung – es ist womöglich Zufall, dass das Virus zunächst in diesen Personenkreis getragen wurde und dann vor allem bei Schwulen weiter kursierte.
Sicher dokumentiert ist: Der erste Fall des aktuellen Ausbruchs wurde von der britischen Gesundheitsbehörde UK Health Security Agency am 7. Mai bestätigt. Der Mann war zuvor in Nigeria. Doch er hatte keinen Kontakt zu den anderen Fällen in Großbritannien. Eine mögliche Erklärung: Das Virus wurde mehrfach nach Großbritannien eingeschleppt.
Keine sexuelle Übertragung nachgewiesen
2017 haben nigerianische Forschende bereits vermutet, dass eine sexuelle Übertragung möglich sein könnte, weil mehrere Patient:innen Geschwüre an den Genitalien hatten. Bisher wurde allerdings noch keine sexuelle Übertragung von Affenpocken nachgewiesen. Im Fachmagazin “Science” berichtet Fernando Simón, Leiter des Koordinationszentraums für Gesundheitswarnungen und Notfälle des spanischen Gesundheitsministeriums, dass alle sieben Fälle in Spanien, die am 19. Mai gemeldet wurden, eine Gruppe betrafen: Männer, die Sex mit Männern haben und Transgender-Personen, die an Sexpartys teilgenommen hatten. “Die meisten Fälle haben Läsionen ausschließlich um die Genitalien, den After und um den Mund herum”, sagt Simón. Einen Hinweis darauf, dass das Virus über Sperma übertragen wird, gibt es aber nicht. “Bisher ist die akzeptabelste Hypothese, dass es nach dem Kontakt mit Läsionen, als den Pusteln und Pocken auf der Haut, übertragen wird.” Die Übertragung kann also genauso über einen engen Körperkontakt ohne Sex stattgefunden haben.
David Heymann ist Vorsitzender der Gruppe “Strategic and Technical Advisory Group on Infectious Hazards with Pandemic and Epidemic Potential” der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Er erklärt, dass die WHO untersuche, ob die bisher identifizierten Fälle durch sexuellen Kontakt verursacht worden sind. “Was jetzt zu passieren scheint, ist, dass das Affenpockenvirus als sexuelle Form, als genitale Form, in die Bevölkerung gelangt ist und sich verbreitet, ebenso wie sexuell übertragbare Infektionen, was seine Übertragung auf der ganzen Welt verstärkt hat”, sagt David Heymann gegenüber “Reuters”.
Weitere Forschung nötig, um Affenpocken-Ausbruch zu verstehen
Der aktuelle Ausbruch von Affenpocken muss aber noch weiter untersucht und die Infektionsketten nachverfolgt werden. Das ist der einzige Weg, wie Wissenschaftler:innen herausfinden können, wie es zu dem Ausbruch in mehreren Ländern gekommen ist und ob das Virus auch über sexuellen Kontakt übertragbar ist.
Nach dem jetzigen Wissenstand gehen Expert:innen nicht davon aus, dass es zu einer Epidemie in Europa kommen wird. Dr. Charlotte Hammer vom Downing College Cambridge in Großbritannien sagt zum “Science Media Center”: “Zu den Übertragungsarten gibt es zurzeit noch große Wissenslücken. Basierend auf dem jetzigen Wissenstand, wonach es sich bei den aktuellen Fällen um die westafrikanische Version der Affenpocken handeln soll, ist davon auszugehen, dass die Übertragung über engen körperlichen Kontakt wie zum Beispiel über Körperflüssigkeiten oder Kontakt mit Hautausschlag erfolgt, aber auch Schmierinfektion auf Oberflächen sind möglich.”
Sie sagt, dass sie noch nichts Genaues zur Entwicklung des aktuellen Ausbruchs sagen könne, weil es dazu noch zu früh sei. “Weitere Fälle sind allerdings zu erwarten. Wenn die Übertragungswege wie bisher vermutet über engen Körperkontakt erfolgen, ist ein größerer Ausbruch aber eher unwahrscheinlich. Bei bestimmten Bevölkerungsgruppen, in denen viel Körperkontakt durch zum Beispiel Wohnen auf engem Raum herrscht, ist das Infektionsrisiko natürlich höher.”
Quellen:WHO, Reuters, RKI, RKI 2, Science, Studie 2017, UKHSA, Science Media Center, mit Material der dpa
Quelle: Stern