Immer noch stehen deutlich mehr Männer als Frauen im OP-Saal. Für Patientinnen hat das offenbar mitunter schlimme Konsequenzen: Werden sie von einem Mann operiert, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass die OP schlecht verläuft, höher.
Werden Frauen von einem männlichen Chirurgen operiert, kommt es deutlich häufiger zu Komplikationen als wenn eine Frau die Operation durchführt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Wissenschaftler:innen der Universität Toronto. Demnach ist die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen nach einer von einem Mann ausgeführten OP Komplikationen erleiden, erneut ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen oder sogar sterben, statistisch gesehen 15 Prozent höher.
Die Gefahr, dass Frauen innerhalb von 30 Tagen nach der OP sterben, ist sogar 32 Prozent höher als wenn Chirurginnen für die Operation verantwortlich sind, schließen die Forschenden aus ihren Daten. Das Team aus Kanada hatte für die Studie, die im Dezember im Fachjournal “JAMA Surgery” veröffentlicht wurde, Eingriffe bei 1,3 Millionen Patient:innen in England untersucht. Mit ihren Ergebnissen wollen die Wissenschaftler:innen eine Diskussion um die Geschlechterverteilung im OP-Saal anstoßen.
“Reale medizinische Konsequenzen für Patientinnen”
Schließlich sind nach Angaben des Royal College of Surgeons of England immer noch 86 Prozent der Chefchirurgen in englischen Krankenhäusern Männern. Zumindest den Ergebnissen der Studie nach zu urteilen bedeutet dieses Ungleichgewicht eine Gefahr für Frauen. “Die Ergebnisse haben reale medizinische Konsequenzen für Patientinnen”, sagte Angela Jerath, eine der Autorinnen der Studie. Einige weibliche Patientinnen würden “unnötigerweise durchs Raster fallen” – mit mitunter fatalen Konsequenzen.
Untersucht wurden 21 Arten von Operationen: darunter Routineeingriffe wie zum Beispiel die Implantation einer Knieprothese oder eine Blinddarmentfernung, aber auch kompliziertere Operation wie Herz- oder Gehirn-OPs.
Interessanterweise zeigten sich die Unterschiede zwischen Geschlechtern in der Untersuchung andersherum nicht. Männer wiesen das gleiche Ergebnis auf, egal ob sie von einem Mann oder einer Frau operiert wurden. Auch wenn eine Frau im OP-Saal stand, gab es bei weiblichen und männlichen Operierten keine signifikanten Unterschiede. Wurde eine Frau allerdings von einer anderen Frau operiert, traten deutlich seltener Probleme auf als bei einem Mann als Chirurgen. “Die Gründe hinter diesen Beobachtungen zu verstehen bietet die Möglichkeit, die Behandlung für alle Patient:innen zu verbessern”, schreiben die Forschenden in ihrem Paper.
Frauen schaffen es nur selten zur Chefchirurgin
Allerdings sind genau diese Gründe nur schwer zu benennen. An den fachlichen Fähigkeiten könne es wohl nicht liegen, dass die Ergebnisse bei von Frauen und Männern ausgeführten Operationen so unterschiedlich aussähen, schreiben die Autor:innen – schließlich hätten alle Mediziner:innen die gleiche Ausbildung genossen. Co-Autorin Jerath nennt einen “impliziten Bias”, der die Geschlechter unterscheide, als mögliche Erklärung. Das Handeln von männlichen Chirurgen sei möglicherweise von “unterbewussten, tief verwurzelten Vorurteilen, Stereotypen und Einstellungen” beeinflusst. Auch Unterschiede in der Kommunikation und Entscheidungsfindung von Männern und Frauen könnten eine Rolle spielen.
In jedem Fall aber zeigten die Ergebnisse, wie wichtig es sei, mehr Frauen in die OP-Säle zu bringen, fassen die Autor:innen zusammen. Unter anderem sei die schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf dafür, warum nur wenige Frauen den Sprung zur Chefchirurgin schaffen. Außerdem sollte in der medizinischen Ausbildung ein stärkeres Augenmerk auf Symptome bei Frauen gelegt werden.
Quellen: “JAMA Surgery” / “Guardian”
Quelle: Stern