Berlin Gesundheitsminister Karl Lauterbach musste damit rechnen, dass der Auftritt auf dem Ärztetag in Bremen nicht einfach werden würde. Sein Vorgänger Jens Spahn (CDU) verärgerte die Ärzteschaft mit seinen Digital-Projekten, zuletzt fühlte sie sich in die Impfkampagne nicht richtig eingebunden. Mit Misstrauen, das auch in Bremen zu spüren war, blicken die Mediziner nun auf den Nachfolger.
Kritik musste sich Lauterbach etwa dafür anhören, dass die von ihm einberufene Krankenhauskommission kein Mitglied aus der Ärzteschaft hat. „Es braucht das Know-how der praktisch Tätigen, um wirklich praktische Lösungen zu finden“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, in Bremen. Er bedauere deswegen sehr, dass die Kommission nur mit Theoretikern besetzt wurde. Die Delegierten quittierten die Worte mit lautem Jubel und Rufen.
Der Geräuschpegel stieg im Saal auch, als Reinhardt es einen „Affront“ nannte, dass eine Novelle der Gebührenordnung der Ärzte seit „drei Jahrzehnten verschleppt“ werde. Sie regelt die Abrechnung ärztlicher Leistungen, die nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden. „Damit Sie den Ärztetag nicht ohne Gastgeschenk verlassen“, sagte Reinhardt in Richtung Lauterbach, „habe ich Ihnen ein erstes gedrucktes Exemplar der neuen Gebührenordnung mitgebracht“.
Lauterbach nahm das Geschenk entgegen, ein großes, schweres, schwarz gebundenes Buch, so unhandlich, dass der Minister erst mal nicht wusste, wohin damit. „Ich werde es vorurteilsfrei prüfen“, begann er seine Rede. „Das kann ich Ihnen versichern.“ Auch sonst versuchte Lauterbach, die Ärzteschaft auf seine Seite zu ziehen. Er dankte etwa für den Einsatz der Mediziner in der Pandemie. „Sie können stolz auf die Leistungen sein“, sagte er.
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Mehrmals appellierte Lauterbach an die Delegierten, ihn bei seinen Vorhaben zu unterstützen – etwa einem Coronaplan für den Herbst, neuen Strukturen für die Behandlung von Long-Covid-Patienten und einem globalen Pandemiepakt, den er mit der G7 beschlossen hat. Lauterbach erhielt auch an einigen Stellen seiner Rede sogar überraschend viel Applaus – etwa für seine Zusage für einen Tarifvertrag für den öffentlichen Gesundheitsdienst.
Das Stichwort rief ihm Weltärzte-Chef Ulrich Montgomery lautstark dazwischen, als Lauterbach über eine bessere Ausstattung der Gesundheitsämter sprach. „Sie haben vollkommen recht“, erwiderte Lauterbach.
Applaus für Einsatz in der Pandemie
Viele kennen den SPD-Politiker seit Jahrzehnten, er werkelte schon an gesundheitspolitischen Reformen als Berater Anfang der Jahrtausendwende mit. Auch sein Einsatz in der Pandemie wird ihm hier hoch angerechnet. Großen Applaus erhält er, als er beschreibt, wie er vor seinem Auftritt von Protestierenden vor dem Bremer Rathaus niedergebrüllt wurde, statt mit Menschen ins Gespräch zu kommen. „Die Bürger kamen gar nicht an mich heran, weil Protestierende mit Gewalt gedroht haben“, sagte er. „Aber Drohungen und Gewalt haben niemals einen Platz“, rief er.
Nicht zuletzt schätzen viele die wissenschaftliche Expertise des Ministers, auf manche aber wirkt etwas merkwürdig, wie viel Platz ihr der Minister in seinen Reden widmet. Insbesondere die Teile über die Pandemie glichen einem Proseminar an der Universität, beschreibt es ein Delegierter. Es wirke manchmal so, als habe Lauterbach mehr Lust auf den wissenschaftlichen als auf den politischen Diskurs.
Auch in Bremen sparte der Gesundheitsminister nicht mit seinem Studienwissen, erklärte Long-Covid-Symptome, sprach über Antibiotikaresistenzen und die zunehmende Gefahr, dass Viren vom Tier auf den Menschen überspringen können. Stellenweise hatte man das Gefühl, dass Lauterbach in Bremen nicht als Minister sprach, sondern als Referent.
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Zum Schluss widmete sich Lauterbach dann aber doch den politischen Niederungen. Er sei schon unter Druck, dass er kein Feuerwerk der Reformen zünde, sagt er. Aber er wolle die Dinge gut machen und gemeinsam vorbereiten. Dass in der Krankenhauskommission keine Vertreter der Ärzteschaft sind, kontert er mit den Worten, dass es die falsche Sicht der Dinge sei, „die Praxis gegen die Wissenschaftler auszuspielen“. Auch die Praktiker würden gehört, aber das müsse systematisch stattfinden.
Zudem versuchte Lauterbach, auf den Ärger über den Digitalisierungskurs seines Vorgängers zu reagieren, der vielen in der Ärzteschaft zu schnell ging. Lauterbach stoppte bereits den verpflichtenden Start des elektronischen Rezepts auf unbestimmte Zeit, was viele ihm hier hoch anrechnen. „Der Nutzen muss vom Patienten und von den Ärzten sofort spürbar sein“, sagt er. Man dürfe sich nicht von der verfügbaren Technik treiben lassen, sondern von den medizinischen Vorteilen.
Versöhnlich schloss er mit den Worten: „Für mich sind Sie kein Kostenfaktor, sondern weiterhin Kolleginnen und Kollegen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit.“ Noch allerdings muss er beweisen, dass er die Ärzteschaft für seine Reformen auch mitnehmen kann.
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Quelle: Handelsblatt