Unter die russischen Vermögen fallen die von westlichen Ländern blockierten Gelder der russischen Zentralbank, aber auch die privaten Vermögenswerte von Russen, die mit Sanktionen belegt wurden.
Ökonomen vertreten ähnliche Ansichten. Gunter Deuber, Leiter des Researchs der Raiffeisen Bank International in Wien, schreibt etwa: „Unter Berücksichtigung der Goldreserven des Landes und der in China lagernden Reserven dürften etwa 250 Milliarden bis 350 Milliarden Euro aus den eingefrorenen russischen Devisenreserven für den Aufbau der Ukraine leicht verfügbar sein.“
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Aus verschiedenen Gründen dürfte die Konfiskation russischer Vermögen allerdings nicht so einfach sein, wie sich das gewisse Politiker und Ökonomen vorstellen. Es gilt, völkerrechtliche und allgemeinjuristische Fragen zu berücksichtigen.
Unternehmen in der Ukraine ringen um Existenz
Die von Russland in der Ukraine angerichteten Zerstörungen sind enorm. Finanziell ringen das Land und viele Unternehmen um die Existenz. Kurzfristig brauchen sie vor allem Liquidität, um Löhne und Sozialleistungen zu bezahlen. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte vor dem Europäischen Parlament, dass allein die ukrainische Verwaltung monatlich fünf Milliarden Euro für Gehälter, Pensionen und grundlegende Dienstleistungen benötige. Von der Leyen bezog sich dabei auf Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF).
Allerdings können beispielsweise die Unternehmen nur einen Teil der von ihnen hergestellten Güter exportieren. Traditionell führte die Ukraine die meisten ihrer Erzeugnisse über die Häfen am Schwarzen Meer aus, aber diese sind blockiert oder zerstört. Im April dieses Jahres lag das Exportvolumen bei Agrargütern bloß bei 31 Prozent, etwa 1,5 Millionen Tonnen, des Standes von April 2022, sagt ein Vertreter der Agrarfirma MHP.
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Unternehmen versuchen nun, die Güter vermehrt mit Lastwagen oder mit der Eisenbahn auszuführen. Aber diese Transportmittel haben bei Weitem nicht die Kapazitäten wie Schiffe, zumal Brücken, Straßen und Eisenbahnknotenpunkte teilweise zerstört sind. Für die Firmen wird das zunehmend zum Problem.
Sie haben zwar weiterhin Ausgaben, aber viel weniger Einnahmen als vor dem Krieg. Um weiter existieren zu können, müssen sie sich stärker verschulden, oder sie bitten die Gläubiger, auf die Zinsen vorerst zu verzichten. Die Verpflichtungen summieren sich dadurch mit jedem Kriegstag zu einem immer höheren Betrag.
Und das sind bloß die kurz- und mittelfristigen Finanzierungsbedürfnisse. Je nachdem, wie lange der Krieg dauert, wird der Wiederaufbau der Ukraine Hunderte von Milliarden Dollar kosten. Kredite werden nicht helfen, denn sie sind für ein kriegsversehrtes Land finanziell nicht nachhaltig. Die Ukraine wird auf Zuschüsse angewiesen sein.
Reparationsfrage mit vielen juristischen Hindernissen verbunden
Es ist zwar eindeutig, dass Russland mit dem Angriff auf die Ukraine schwer gegen das Völkerrecht verstoßen hat. Die Organisation der Vereinten Nationen (Uno) verbietet den Mitgliedern beispielsweise, gegen andere Staaten Gewalt anzuwenden, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Halten sich die Länder nicht an dieses Prinzip, haben die Oper der Gewalt einen Anspruch auf Entschädigung.
Doch bei der Frage, ob Auslandsvermögen des Landes konfisziert werden können, gilt es gewisse Prinzipien zu beachten. Andreas Müller, Professor für Europa- und Völkerrecht an der Universität Innsbruck, sagt: „Staatsvermögen genießt im Völkerrecht einen starken Schutz.“ Wenn westliche Staaten auf russische Vermögenswerte zugreifen würden, verletzten sie diesen Immunitätsschutz.
Humanitäres Völkerrecht
Damit geriete auch das im Völkerrecht stark verankerte Reziprozitätsprinzip, oder auch Prinzip der Gegenseitigkeit, unter Druck: Demnach können völkerrechtliche Normen je nach Situation für gewisse Staaten mit Nachteilen verbunden sein; sie halten sich aber daran, weil sie nicht wollen, dass andere Länder dieses Prinzip missachten. Jurist Müller fragt: „Was riskieren wir zu verlieren, wenn wir das Reziprozitätsprinzip nun verletzen?“ Das hätte, sagt Müller, Folgen für die künftige internationale Ordnung. Staaten könnten beispielsweise in Versuchung geraten, ausländische Vermögen willkürlich einzufrieren.
Letztlich sollten aber Gerichte und die Uno die Frage der Reparation beurteilen, nicht Politiker. Die Öffentlichkeit wird sich aber damit abfinden müssen, dass eine juristische Lösung der Reparationsfrage mit vielen juristischen Hindernissen verbunden ist.
Staaten haben die Möglichkeit, vor den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag zu ziehen und dort Verletzungen des Völkerrechts geltend zu machen. Russland hat den IGH nicht bedingungslos akzeptiert. Ohnehin wäre es schwierig, die Ansprüche gegenüber Russland durchzusetzen. Zuständig dafür wäre die Uno, dort besitzt Russland aber ein Vetorecht.
Schwierig, Oligarchen haftbar zu machen
Darüber hinaus wird es auch schwierig sein, die Oligarchen für die Taten Russland haftbar zu machen. Mittlerweile sind die Vermögen von rund 1000 wohlhabenden Russen eingefroren worden. Auch auf dieses Geld kann die Staatengemeinschaft nicht grundlos zugreifen. Gerichte müssen laufend überprüfen, ob sich ein Eigentümer von Vermögen noch zu Recht auf der Sanktionsliste befindet.
So berichtet das Handelsblatt über die Sanktionen gegen russische Oligarchen:
Dazu gibt es ein stark beachtetes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Die Uno hatte den Saudi-Araber Yassin Abdullah Kadi im Jahr 2001 auf eine Terrorliste gesetzt. Zwölf Jahre später entschied der EuGH, dass die EU Kadis Vermögen nicht einfrieren dürfe. Es sei nicht ausreichend bewiesen, dass dieser in terroristische Aktivitäten verstrickt sei.
Die Handlungen der EU müssten, so urteilten die Richter, einer steten und umfassenden gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Auch müsse dem Betroffenen mitgeteilt werden, warum sich sein Name auf der Liste befinde.
Mehr: Lesen Sie die aktuellen Entwicklungen im Ukrainekrieg im Newsblog
Quelle: Handelsblatt