Die Erwartungen an einen neuen Job haben sich durch die Corona-Pandemie vielerorts geändert. Im Silicon Valley und anderen Tech-Standorten wird daher hart um jeden Mitarbeiter gekämpft, auch mit ungewöhnlichen Anreizen.
Fachkräftemangel ist kein neues Phänomen. Vor allem im boomenden Tech-Sektor wird er aber zunehmend zum Problem. Kein Wunder, dass der Konkurrenzkampf der Unternehmen sich immer weiter zuspitzt. Und den Bewerbern dadurch enorm attraktive Vorteile verschafft.
Denn die Arbeitskräfte sind aktuell in einer äußerst guten Verhandlungsposition – und sich dessen durchaus bewusst. “Im Lockdown konnte ich viel nachdenken und für mich herausfinden, was ich im Job wirklich will”, berichtet etwa IT-Expertin Ashley gegenüber “Wired”. “Ich wollte einen Job, der zu meinem Lifestyle passt und mich nicht den ganzen Tag an einen Schreibtisch fesselt. Wenn ich mich nicht wohl fühle, dann kann ich einfach gehen.”
Wechsel-freudig
Diese Einstellung findet sich bei vielen Angestellten des Tech-Sektors. Alleine im Sommer letzten Jahres waren 31 Prozent der Angestellten im IT-Bereich der USA auf der Suche nach einem neuen Job. Stellen gibt es mehr als genug. Nach Angaben des Beratungsunternehmens Global Knowledge klagen 76 Prozent der Entscheidungsträger in diesem Sektor über wichtige Stellen in ihren Teams, die sich nicht mit ausreichend qualifiziertem Personal besetzen lassen.
Das erhöht den Druck auf die Unternehmen. Bemerkbar macht sich das etwa im Einstellungsverfahren. Die Firmen überbieten sich geradezu mit Zuschlägen und Vorteilen für die Arbeitnehmer. Dabei geht es nicht mehr nur um die Höhe der Gehälter. In den notorisch Arbeitnehmer-unfreundlichen USA punktet etwa Pinterest mit bezahlter Elternzeit, das Finanz-Unternehmen Finder legte Extra-Krankentage drauf. Den Vogel schoss wohl das indische Start-up On Purpose ab: Dort bekommt man eine Woche Sonderurlaub, wenn man sich ein neues Haustier zulegt.
Geld für’s Erscheinen
Aber natürlich gibt es beim Anreiz oft ums schnöde Geld. Die Idee des Frankfurter Unternehmens Deutsche Familienversicherung, schon den Besuch des Bewerbungsgesprächs mit 500 Euro zu vergolden, nahm man auch auf der anderen Seite des großen Teichs wahr – und übernahmen es immer öfter. Auch Willkommensgelder für den Antritt einer neuen Stelle in Höhe eines ganzen oder gar mehrerer Gehälter sind keine Seltenheit mehr.
Selbst unter den früheren Angestellten hat man dafür Verständnis, berichtet Joy Nazzari vom britischen Start-up Showhere gegenüber “Wired. “Ein goldenes Willkommen ist eine schwere Entscheidung, weil man damit die längeren Mitarbeiter vor den Kopf stößt”, erklärt sie. Die Firma bekommt seit längerem 16 offene Stellen nicht besetzt, bietet nun ein ganzes Gehalt als Einstiegsgeschenk. “Jeder versteht intern, dass es eine ungewöhnliche Situation ist und wir wettbewerbsfähig bleiben müssen.”
Ums Wohlergehen bemüht
Trotzdem muss man natürlich die Bedürfnisse der langjährigen Angestellten ebenfalls im Auge behalten – oder riskiert, sie zu verlieren. Einer Studie im Auftrag von Microsoft aus dem letzten Jahr zufolge denken 41 Prozent der weltweiten Arbeitnehmer darüber nach, ihren aktuellen Job zu kündigen. “Great Resignation” – die große Kündigungswelle -, nennt man das Phänomen in den USA in Anlehnung an die Wirtschaftskrise der 30er Jahre.
“Kein Feld hat sich im letzten Jahr so stark verändert, wie die Art, wie wir arbeiten”, weiß Microsoft-Chef Satya Nadella. “Die Ansprüche der Arbeitnehmer verändern sich.” Statt nur auf Produktivität müsse man als Arbeitgeber auch auf die Zusammenarbeit, die Weiterbildung und auf das allgemeine Wohlergehen seiner Angestellten schauen.
Ewiges Homeoffice
Dazu gehört auch ein Benefit, der bei Neueinstellungen ebenfalls fast als selbstverständlich gesehen wird: die freie Wahl des Arbeits-Standortes. Mit der massenhaften Einführung des Homeoffice in der Pandemie haben sich viele Angestellte von der Idee verabschiedet, jeden Tag ins Büro kommen zu müssen. Und erwarten diese Flexibilität auch von ihrem Arbeitgeber. “Wir haben den Standortkriterien bei der Einstellung völlig aufgegeben”, berichtet etwa Asmitha Das, die für die Wissenschafts-Plattform Kolabtree arbeitet, gegenüber “Wired”. Stattdessen könnten alle Neuangestellten selbst wählen, wo sie leben und arbeiten können. Der Wechsel hat spürbare Folgen: Sie habe seitdem dreimal so viele Bewerbungen wie vorher.
Quellen: Wired, Microsoft, Global Knowledge
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Quelle: Stern