Der überraschende Rauswurf von CEO Sam Altman zeigt: Bei OpenAI hat Team Vorsicht gegen Team Schnelligkeit gewonnen. Die Trennung verursacht gleichzeitig einen massiven Schaden.
Beim kalifornischen KI-Start-up OpenAI haben sich die Ereignisse am Wochenende überschlagen: Erst feuerte der Verwaltungsrat überraschend seinen charismatischen CEO Sam Altman, dann sprangen wichtige Investoren und Führungskräfte ihm zur Seite. Ein Verhandlungsmarathon über Altmans Rückkehr scheiterte – stattdessen hat OpenAI einen neuen CEO und Altman wechselt zum OpenAI-Geldgeber Microsoft. Was steckt hinter den Ereignissen? Und was sind die Folgen? Die drei wichtigsten Takeaways:
1. Team Vorsicht hat gewonnen
Seit der Gründung von OpenAI im Jahr 2015 schlummert intern ein Richtungsstreit, wie man das gemeinsame Ziel – die Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz zum Wohle der Menschheit – am besten erreichen könnte.
Die eine Fraktion sieht den besten Weg in einer gemeinnützigen Organisation, die auf das Primat der Wissenschaft setzt und im Zweifel lieber Vorsicht walten lässt, als unnötige Risiken für kurzfristige Gewinne einzugehen. OpenAI wurde deshalb im Jahr 2015 in der Rechtsform einer “Public Charity” gegründet. So sollte sichergestellt werden, dass die Manager von OpenAI stets im Sinne des Allgemeinwohls handeln. Ein Überbleibsel dessen ist noch immer der Verwaltungsrat um Chefwissenschaftler Ilya Sutskever, der am Freitag die Entlassung von Sam Altman orchestriert hat.
Über die Jahre wuchs bei OpenAI allerdings auch die Erkenntnis, dass es ohne signifikante Investitionen schwer werden würde, mit Konkurrenten wie Google mitzuhalten. Die Gemeinnützigkeit erwies sich als Bremse. 2019 leitete OpenAI eine Umfirmierung zu einem profitorientierten Unternehmen ein. In den folgenden Jahren sammelte es mehr als 13 Milliarden US-Dollar von Investoren ein, die die Kommerzialisierung von ChatGPT erst möglich machte. Der Architekt dieser Transformation: Sam Altman.
Die Konfrontation zwischen Ilya Sutskever und Sam Altman kann daher auch als Aufeinandertreffen von Team Vorsicht gegen Team Schnelligkeit gelesen werden. Das rasante Tempo des ehrgeizigen OpenAI-Chefs war dem Verwaltungsrat offenbar zu risikoreich. Das legen auch Recherchen der Tech-Journalistin Kara Swisher und des Fachportals “The Information” nahe. Demnach ging der Trennung ein Streit über unterschiedliche Abwägungen zwischen Sicherheit und Kommerzialisierung der KI voran. Der Rauswurf ist ein Punktsieg für Team Vorsicht – allerdings stellt sich die Frage, zu welchem Preis.
2. Massiver Imageschaden für OpenAI-Aufseher
Ob die Sorgen des Verwaltungsrats bezüglich der Sicherheit nun gerechtfertigt waren oder nicht: Kurzfristig hat das Gremium mit seinem Impromptu-Rauswurf vor allem einen massiven Imageschaden verursacht. Die Choreografie von Altmans Rauswurf wirkte chaotisch bis erratisch und wirft kein gutes Licht auf die Verantwortlichen. Das begann schon mit der Kommunikation.
Der Verwaltungsrat kündigte den Rauswurf von Altman am Freitagabend mit einem Blogpost auf seiner Webseite an und erhob darin schwere Vorwürfe. Altman sei “nicht durchgängig offen in seiner Kommunikation mit dem Verwaltungsrat”, hieß es darin. Details nannte das Gremium nicht – und verlor so schnell die Deutungshoheit.
In den Stunden darauf festigte sich stattdessen eher das Bild einer Chaostruppe, die einen allseits beliebten CEO ohne Not vor die Tür gesetzt hatte. Dazu trug auch die Kommunikation gegenüber den eigenen Geldgebern bei: Großinvestor Mircosoft erfuhr angeblich erst eine Minute vor der Veröffentlichung des Blogposts von der Entlassung, berichtet die “New York Times”. Andere Investoren seien davon in den sozialen Medien überrascht worden.
3. OpenAI schwächt sich selbst – zumindest mittelfristig
Sam Altmans unehrenhafte Entlassung schadet mittelfristig vor allem einer Firma: OpenAI selbst. Schon in den Stunden nach dem Rauswurf kündigten Dutzende Mitarbeiter an, das Unternehmen zu verlassen, wie “The Information” berichtet. Altman zählte zu den beliebtesten CEOs im Silicon Valley, viele KI-Talente kamen überhaupt erst seinetwegen zu OpenAI. Der Firma droht nun ein Braindrain.
Erschwerend kommt hinzu, dass OpenAI bislang keine durchdachte Nachfolge präsentieren konnte. Am Freitag kündigte der Verwaltungsrat zunächst an, dass Technikchefin Mira Murati als Interims-CEO übernehmen würde. Die Zwischenlösung hielt allerdings keine zwei Tage. Am Sonntag präsentierte das Gremium den nächsten Interims-CEO: Twitch-Gründer Emmet Shear, der bisher vor allem durch seine Videostreaming-Expertise aufgefallen ist. Das Unternehmen wirkt kopflos – und weit entfernt vom gefürchteten Branchenprimus, der er vor wenigen Tagen noch war.
Sam Altman hat unterdessen schon ein neues Jobangebot: Microsoft-Chef Satya Nadella kündigte am Montagmorgen an, dass Altman als Leiter eines neuen KI-Forschungsteams an Bord komme. Man freue sich darauf, “schnell voranzugehen”. Altman kommentierte seine Berufung mit den Worten: “The mission continues” – die Mission geht weiter.
Dieser Artikel erschien zuerst bei “Capital“.
Quelle: Stern