In den USA steht das Recht auf Abtreibung auf der Kippe. Aktivistinnen rufen in diesem Zuge dazu auf, Zyklus-Apps von Handys zu löschen, weil in den gespeicherten Daten Informationen zu Schwangerschaften stecken. Die könnten künftig zu einer Strafverfolgung führen.
Dieser Entwurf hat ein ganzes Land in Aufruhr gebracht. Er rüttelt an Frauenrechten und Selbstbestimmung. Vergangene Woche veröffentlichte das Nachrichtenportal “Politico” einen Mehrheitsentwurf des Supreme Court, dessen Echtheit bestätigt wurde und der das Grundsatzurteil “Roe v. Wade” von 1973 aufheben würde. Darin ist das Recht auf Abtreibung verankert. Es steht nun auf der Kippe. Ein Versuch der Demokraten im US-Senat, es mit einem bundesweiten Gesetz sicherzustellen, scheiterte.
Ohne “Roe v. Wade” wäre die Gesetzgebung bei Abtreibungen Sache der Bundesstaaten. Konservative Staaten haben bereits Verschärfungen angekündigt, sollte dies bald möglich sein. Der Gouverneur von Oklahoma, Kevin Stitt, unterzeichnete medienwirksam ein “Herzschlag-Gesetz”, das Schwangerschaftsabbrüche verbietet, sobald sich bei einem Fötus der Herzschlag feststellen lässt. Zu diesem frühen Zeitpunkt in der Schwangerschaft wissen manche Frauen noch gar nicht, dass sie überhaupt schwanger sind (der stern berichtete). Im US-Bundesstaat Missouri wiederum liegt ein Gesetzesentwurf vor, der es Frauen sogar verbieten würde, in anderen, liberaleren Staaten, Hilfe zu suchen. Es könnte dann auch verklagt werden, wer einer Frau aus Missouri bei einer Abtreibung hilft.
Aufruf zum Löschen von Perioden-Tracking-Apps
Im Zuge dieser geplanten Verschärfungen schreibt die Aktivistin und Anwältin Elizabeth McLaughlin auf Twitter von einem “Weckruf”. Und zwar für alle, die denken, dass die Information, wann man das letzte Mal menstruiert hat, nicht von Interesse sei für diejenigen, die Abtreibung gesetzlich verbieten möchten. Ihre Aufforderung: Wer Zyklus-Tracking-Apps verwendet, der sollte sie umgehend löschen.
Aus den gespeicherten Daten ließen sich mögliche Schwangerschaften ableiten. Das wiederum ließe sich kombinieren mit einer Standortverfolgung sowie der medizinischen Versorgung, die eine Person nutzt. Das könnte künftig zu einer Strafverfolgung führen. Um zu zeigen, wie sensible Daten von Perioden-Apps an Dritte weitergegeben werden, verlinkt McLaughlin einen Artikel der “New York Times”, in dem es um die Zyklus-App “Flo” geht und die Firma dahinter, die von 2016 bis 2019 intime Daten an Facebook und Google weitergab.
Der Markt mit den weiblichen Gesundheitsdaten, Femtech, ist lukrativ. Der “Guardian” zitierte 2018 Analysten, die darin bis im Jahr 2025 ein 50-Milliarden-Dollar-Geschäft vorhersagten. Aus den sensiblen Daten lässt sich viel wertvolles Wissen generieren. Und dieses Wissen ist in den USA leicht zugänglich. Privatsphäre gibt es hier im Internet kaum. Während die EU mit der Datenschutz-Grundverordnung das ungebremste Sammeln von Daten zumindest erschwert hat, bleibt das Internet in den USA ein quasi rechtsfreier Raum.
Sensible Datensätze zu Abtreibung und Familienplanung käuflich
Manchmal wissen die User einer App gar nicht, dass die Apps auf ihrem Handy Standortdaten sammeln und an Dritte verkaufen. Dahinter stecken sogenannte software developments kits (SDKs), die Entwickler in ihre Apps einbauen. Viele sind harmlos, andere sammeln im Hintergrund jede Menge Daten. Die Firmen dahinter wiederum bieten dann gebündelte Daten zum Verkauf an – wie zum Beispiel “SafeGraph”. “Vice” hat im Zusammenhang mit Abtreibungsrechten über diesen Fall berichtet: Die Datenverwaltungsplattform bietet gebündelte Datensätze zu “Planned Parenthood” an, einer Non-Profit-Organization, die Beratungen zur Familienplanung anbietet und auch Abtreibungen in Kliniken. Aus den Datensätzen geht hervor, wie lange jemand dort war und wie oft. Die Kosten: 160 Dollar für eine Woche Datensätze. Es könnte also beispielsweise sein, dass eine Jogging-App oder eine Wetter-App jemanden in einer Abtreibungsklinik im nächsten Bundesstaat ortet und diese Information an Dritte verkauft.
Jetzt, da Abtreibungsrechte in den USA auf der Kippe stehen, sei es umso dringender für Regulatoren und Gesetzgeber zu prüfen, wie Standortdaten gesammelt, verwendet und verkauft werden, argumentiert “Vice”. Der Handel mit den Daten ist aus mehreren Gründen problematisch. Oft lassen sich die Daten entanonymisieren. Und Strafverfolgungsbehörden dürfen die Daten kaufen, für die sie sonst einen richterlichen Beschluss bräuchten.
Auch Late Night Host John Oliver hat sich dem Thema kürzlich in einer Folge seiner Sendung “Last Week Tonight” angenommen. Er wählte dabei einen besonders klugen Kniff: Seine Redaktion erwarb sensible Daten von Politikern. Tatsächlich sei es dem Team gelungen, mit sehr geringen Kosten die Daten von Hunderten von Personen zu sammeln, so Oliver (der stern berichtete).
Er hält einen Umschlag in die Kamera: “Sollten Sie ein Gesetzgeber sein und nun Panik haben, ob ich Ihre Daten in meinem Umschlag habe und was ich damit anstellen könnte, dann sollten Sie diese Angst dazu nutzen, um sicherzustellen, dass ich damit genau gar nichts tun kann.” Von dieser Privatsphäre würden auch Frauen bei sehr intimen Lebensentscheidungen profitieren.
Quellen: Twitter, Vice, stern.de (I), stern.de (II), stern.de (III), “Last Week Tonight”, Politico (I), Politico (II), New York Times, The Guardian
Quelle: Stern